Donnerstag, 21. März 2013
21|3|13 - Out of my Comfort Zone
Heute bin ich auf so viele Weisen aus meiner Komfortzone gestolpert, es gehört dokument.
Zunächst einmal war die Küche heute morgen derart widerlich verdreckt, das übersteigt jede studentische Toleranz: Irgendjemand (vermutlich mein neuer Mitbewohner) meinte, er müsste auf und neben den übervollen Mülleimern noch sehr viel mehr Müll stapeln und ich musste mein Geschirr im Badezimmer waschen, weil das Waschbecken verstopft und randvoll mit einer nicht näher definierten braunen Flüssigkeit war. Meine Mail an meine Agentur war erfolglos (O-Ton: Du bist erwachsen, räum doch selbst auf! Wir schicken doch keinen, der das Waschbecken repariert, ha!), aber zum Glück haben meine Mitbewohner heute mal ordentlich aufgeräumt, bis ich heimkam. Trotzdem unangenehm, sich beschweren zu müssen und dann so unhöflich von oben herab behandelt zu werden.

Obwohl wir heute auf der Arbeit besonders viel gelacht haben (es ging so weit, dass meine Kollegen fragten, ob ich mit meinem Chef verheiratet sei, denn wir ärgern uns gern gegenseitig), war es ein etwas schwieriger Tag. Hauptsächlich habe ich das Protokoll eines Teammeetings von Montag zusammengetragen und da ich Montag nur die Hälfte der Akronyme, Namen etc. verstanden habe, dämmerte mir schon vor dem Gespräch mit meinem Chef, dass das nicht das Goldene vom Ei sein würde. Wars dann auch nicht, und auch, wenn es mir nicht peinlich sein sollte, dass ich als Nicht-Muttersprachlerin nicht jede Insider-Abkürzung verstehe, ist es sehr unangenehm, bei der radikalen Korrektur deiner Arbeit zuzusehen. Da hilft es auch nicht, dass sie mir heute offenbart haben, dass sie mich gerne behalten würden :) Auch mein Interview wurde auf nächste Woche verschoben, sodass ich etwas enttäuscht bliebt.
Nach der Arbeit mal wieder an der Liverpool St herumgeirrt und mich schließlich im Touristenzentrum beraten lassen, um 19 Princelet Street nahe den hippen, bunten, leuchtenden Spitalfield Markets zu finden.


Das Immigranten-Museum dort ist ein echter Geheimtipp und das erste seiner Art in Europa. Das historische Grad-II-Gebäude ist so fragil, dass es nur 10 mal jährlich seine Pforten öffnet und wenn man sich nachts in die Warteschlange der jungen Leute einreiht, die auf Einlass warten, fühlt man sich zugleich kulturell gebildet, heillos cool und so, als würde man in einen geheimen Club initiiert werden. Der sehr nette Freiwillige, der Infomaterial verteilte, hat mir am Ende noch extra Blätter mitgegeben und herzlich die Hand geschüttelt, als ich ihm erklärte, ich würde über das Museum bloggen. Es ist wirklich etwas anderes, sehr surreal: Halb viktorianisches Stadthaus ehemaliger Immigranten, halb jüdische Ex-Kirche inklusive Gallerie und Seminarraum. Alte Möbel, Koffer und Projekte mit Künstlern und Schulkindern rufen in dem sehr kalten Gebäude zum Nachdenken auf und man wird gefragt, welche eigenen Wurzel und Wege man hat. Diese Leute haben notgedrungen außerhalb ihrer Komfortzone gelebt und manche, wie ich, gehen nur zu gern dieses Risiko ein.

Ich war wie vor dem Kopf geschlagen - ich hab mir in den letzten 4 Wochen (und auch nicht in den 6 Monaten davor) niemals darüber Gedanken gemacht, dass ich hier Immigrantin bin/wäre, oder, noch schlimmer, dass man mich hier als Fremde nicht wollen würde. Da ich London so liebe, habe ich automatisch angenommen, ich wäre hier einigermaßen willkommen, obwohl das ja gar nicht der Fall sein muss. Erstaunlich, wie man in London ein Gebäude betreten und mit völlig neuen Ansichten herausspazieren kann, jeden Tag fünf Mal, wenn man es darauf anlegt. Es war erleichternd, mal gefragt zu werden, wie ich meine kulturelle Identität bepfinde. Ich bin natürlich von Kopf bis Fuß schrecklich langweilig deutsch und werd es stets bleiben, aber im Herzen bin ich englisch. Das würd ich natürlich niemandem ins Gesicht sagen, denn sicherlich würde mich jeder Londoner dafür verlachen, nach nur zwei Monaten Ansprüche auf diese Nationalität gelten zu machen. Aber in den letzten fünf Jahren habe ich mental schon in dieser Stadt gelebt, und wenn ich zurückgekehrt bin, werde ich den Rest meines Lebens damit fortfahren. Ich liebe London, aber jeden Tag muss ich mit den Unannehmlichkeiten des Fremdseins abfinden: Das hilflose Verirren und Nach-Wörtern-Suchen, das ständige Fremde-Um-Hilfe-Bitten. Bis dahin hatte ich kaum einen Gedanken daran verschwendet, dass ich halb Alien und halb eingefleischte Londonerin bin.

Bitte geht mal hin, wenn sich Euch die einmalige Gelegenheit bietet, und denkt einfach mal darüber nach - ob als Touri oder Einwohner, die Gelegenheit ist so selten und das Museum umsonst.



20|3|13 - Cambridge Calling
Eine Stadt ist klein, wenn man alles zufuß erreicht. Eine Stadt ist sehr klein, wenn man mehr schafft, als man sich vornimmt, und dann immer noch 2 Stunden Zeit totzuschlagen hat. Wie in Cambridge.

Mit einer Schneewarnung im Gepäck - ,,zum Glück" hat es nur genieselt - habe ich mich 2 Stunden in den Bus gesetzt und die weltberühmte Unistadt besucht, die für ihre 120.000 Einwohner sehr klein, noch ruhiger und insgesamt besonders unspektakulär ist. Ich bin fast versucht, zu prophezeien, die Studenten seien nur so gut, weil sie einfach nicht besseres als Lernen zu tun haben ;)
Cambridge ist eine große Steinwüste, die von Kirchen und Unigebäuden dominiert wird (man glaubt wirklich, erschlagen zu werden und kann die Gebäude anfangs kaum auseinander halten). Es gibt Städte, die haben Unis, und dann gibt es Städte, die sind Unis, so wie Cambridge - die vielen Shops drumherum scheinen eher zufälliges Beiwerk. Außerdem ist das Städtchen buchstäblich nahe am Wasser gebaut, denn wo man auch hinsieht, könnte man im nächsten Moment baden gehen: Ob Fluss, Kanal oder sumpfige Parks, jemand mit weniger Glück als ich hätte heute bestimmt einen falschen Schritt gesetzt. Ich muss gestehen, Cambridge ist durch und durch charmant, besonders, wenn einem bei Architektur das Herz aufgeht. Die schläfrig-ruhige Stadt ist besonders abends schön, wenn man am Fluss vorbeiwandert und die Kahnfahrer beobachtet oder die Lichter in den Buntglasfenster der sterbendschönen Kapellen und Hallen sieht. Ich wette, besonders im Sommer verliebt man sich schnell und habe über Oxford gehört, aus der Vogelperspektive sei das Steinlabyrinth plötzlich ein grüner Tempel. Solltet Ihr mal in die Verlegenheit eines Hubschraberflugs dort kommen - machen!!! Ich befürchte aber, dass das Leben dort insgesamt eine Winzigkeit langweilig werden könnte.



In nur wenigen Stunden hatte ich "alles" gesehen,was ich wollte, denn auch bei den Museen gilt "klein, aber fein": Zunächst mal den Botanischen Garten umrundet, der im Winter nicht viel her machte, deshalb habe ich mir das Geld gespart - ist aber sehr hübsch am Kanal gelegen und da blühts im Sommer vermutlich prächtig. * Das Fitzwilliam Museum ist das mit Abstand größte, schönste und beste Museum in Cambridge, gratis versteht sich! Neben Bildern von Rubens, Rossetti & Millais gibt es dort viele andere Bilder, moderne und traditionelle Glas- und Keramikunst, etwa Koreanischer oder Japanischer Art, eine Fächerabteilung, Griechische und Römische Statuen und Ägyptische Sarkophage. Besonders umgehauen hat mich der Empfangsraum am Haupteingang - ich habe ja schon einige Schlösser, Museen und den Royal Pavilion in Brighton besichtigt, aber das heute hat mir die Socken ausgezogen. Mamor, Säulen, aufwändige Glasfenster, Büsten - das Foyer ist ein Overkill der ganz großen Art. Wer in Cambridge nicht hingeht, ist selbst schuld. Nur Fotos durfte ich nicht machen :( * Das University Museum of Zoology, das Whipple Museum of the History of Science, das Sedgwick Museum of Earth Sciences, das University Museum of Archaeology & Anthropology und Scott Polar Institute waren alle kostenlos und echt nicht schlecht, aber leider durchschnittlich 3 Räume groß und damit schnell erledigt. Das Folk Museum war nicht teuer, aber dennoch hab ich es liegen lassen. Das Museum of Classical Archaeology habe ich leider übersehen... klingt aber relativ vielversprechend. * Die Ruskin Gallery zu finden, ist tricky, denn die meisten Studenten wissen nichts von der Existenz der Gallerie auf dem Campus. Hat sich auch nicht gelohnt, hinzugehen, denn die gegenwärtige Ausstellung sieht aus wie Kindergartenbilder. Angeblich gab es vor wenigen Tagen noch eine tolle Ausstellung der Masterstudis. Das Byard Art gegenüber King's College verkauft und zeigt ein paar Kunstwerke, die zwar gut, aber mit bis zu 2500 Pfund meiner Meinung nach zu teuer sind. Die Gallerie Kettle's Yard verdient ihren Namen für die gefühlten 5 Ausstellungsstücke nicht und die Hauptattraktion, ein Haus, war heute für einen privaten Zweck geschlossen - sehr, sehr schade! Die Bilder sehen sehr interessant aus :( Nach Williams Art habe ich vergeblich gesucht, denn es ist nicht auf Schildern abgebildet. Überhaupt ist man in Cambridge gnadenlos der Hilfsbereitschaft der netten Anwohner ausgeliefert, denn ohne die findet man in der Winzstadt fast nichts.

Natürlich habe ich noch viele andere Colleges, die Seufzer- und Mathematikerbrücke mitgenommem. Zum Schmunzeln - eine im Scott Polar Institute ausgestellte Sonde wurde nach Harry Potters "Triwizard Tournament" (Trimagisches Turnier) benannt, ich musse echt lachen.


Fazit: Schön, aber ein Tag reicht vollkommen und noch mal hin muss nicht sein. Meine Begeisterung wurde etwas davon gedämpft, dass ich über eine Stunde in der Eiseskälte auf den verspäteten Bus warten musste...