29|3|13 - "Jesus H. Christ!"
Oder: A Very Good Good Friday
Um 11 Uhr saß ich brav auf den Stufen am Trafalgar Square, um eine Stunde lang meinen sehr guten Platz für die Passionsspiele zu verteidigen, die um 12 Uhr anfingen (die Nachmittagsperformance wurde sogar live im Internet übertragen). Über 100 Schauspieler, echte Tiere (Tauben, Esel, Pferde...) und x tausend Zuschauer trafen bei Teilzeit-Sonnenschein zusammen, um Jesus Kreuzigung nachzustellen. Es war wirklich eine sehr glorreiche Erfahrung, die ich jedem anderen Touristen und Einwohner Londons wünschen würde: Schon eine Stunde vor der Aufführung marschierten römische Soldaten durch die Menge! Bei der Performance hingen am Ende drei halbnackte junge Männer in der englischen Kälte am Kreuz, ein Jünger landete im Brunnen und ein Passant (oder als solcher ,,ver"-kleidete Schauspieler) wurde in das Stück gezogen, um Jesu Kreuz zuende zu tragen - es wurde schon viel abverlangt, und viel geleistet. Der Hauptdarsteller spielt schon seit seiner Jugend, und stets nur Jesus. Im Sommer kann man ihn und hunderte andere auf dem Land in 5-stündigen Performances über Jesu gesamtes Leben sehen, und obwohl ich nicht nach Oberammergau reisen würde: Man, das würd ich mir ansehen! Der Jesus war großartig, extrem charismatisch und trotz seiner offensichtlich einzigartigen Rolle bescheiden. Nach der Aufführung blieb er einfach in der Menge, wo er umarmt, geküsst und fotografiert wurde, als sei er der Papst oder tatsächlich Gottes Sohn - und wenn es hier einen solchen gebe, ihm würde ich es abnehmen, denn er tat nichts davon aus der Lust an der Selbstdarstellung. Da ich einen guten Platz hatte, ging er direkt hinter mir her und ich sah eine ältere Frau, die ihm ihre Hand entgegenstreckte und die er im Vorbeigehen selbstverständlich drückte; das hat mich überraschend berührt. Die Leute waren wie verwandelt, so, als hätten sie vollkommen vergessen, dass es nur ein Theaterstück mit Kameras und Mikrofonen ist, sondern als wären sie Jesus über den Weg gelaufen, den sie mit dem Smartphone ablichten. Die Erfahrung war womöglich spiritueller als vieles, was mir in den Mauern einer Kirche bisher passiert ist und da ich schon lange nicht mehr in letzterer war, darf man mir das ruhig glauben. Es war einfach schön. Zum Schluss forderte uns der Bishop of Wenstminster dazu auf, mit ihm das Vater Unser zu beten (das ich natürlich auf Englisch nur halb konnte), und wir Tausende falteten die Hände, sprachen ihm nach und verabschiedeten uns von unseren Sitznachbarn. Bitte nacherleben!
Da der Tag noch lange nicht vorbei war, aber nicht alles geöffnet hat, zog es mich aus der Stadt heraus zum Crystal Palace Park. Der Palast ist schon lange nur noch Ruine und das Museum war geschlossen, doch es fand gerade eine Kirmes statt und der überwiegend naturbelassene Park war das richtige Domizil für einen Frühlingstag: Mauer- und Treppenüberreste, baumbewachsene Hügel, befahrbare Seen, Wasserfälle, ein Irrgarten und Dino-Statuen. Mit einem sehr süßen kleinen Jungen namens Dylan habe ich sicher 10 Minuten lang Fußball gespielt, weil sein ebenfalls sehr junger Bruder am Weinen war und nicht spielen wollte. Mein Tag wurde dann von einem Trip zu "meinem" Starbucks, wo man mir wieder mal freundlicherweise einen Kaffee schenkte, gekrönt; in der Tube hielt ein Fremder für mich die Tür auf... Vielleicht lag es ja an der Aufführung oder dem Datum, doch alle Menschen schienen mir heute besonders freundlich und zufrieden, ich war es jedenfalls.
... und morgen steh ich um 5 Uhr auf, um endlich James McAvoy sterben zu sehen. Das kann doch nicht unmöglich sein!
bibliophelia am 29. März 13
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